Beschreibung
Verfasser/Autor(en): Michael Reinboth
Buchbeschreibung:
Wer die Auswirkungen großer politischer Entscheidungen der vergangenen 150 Jahre auf eine einzelne Siedlung und ihre Bewohner nachvollziehen will, sollte dies am Beispiel des 1964 durch Sprengung, Abriss und anschließende Bepflanzung vollkommen verschwundenen Ortsteils „Juliushütte“ der Gemeinde Walkenried tun.
Die „Juliushütte“ ist in jüngster Zeit durch die Aktivitäten zur Errichtung einer KZ-Gedenkstätte für das Außenlager „Ellrich-Juliushütte“ des KZ Mittelbau-Dora und die diesen vorangehenden Ausgrabungen wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. Es wurde in leerstehenden Gebäuden der dortigen Gipsfabriken und Baracken eingerichtet und war eines der schlimmsten Lager am darin nicht armen Südharzrand. Zuletzt wurden die vielen Todesopfer auf offenen Scheiterhaufen verbrannt. Die SS machte es sich derweil in den von den Einwohnern geräumten Häusern bequem.
Doch die Siedlung weist noch andere Besonderheiten auf. 1877 als Standort einer Gipsfabrik gegründet, lag sie immer vor den Toren der Stadt Ellrich, und ihre Bewohner waren bis 1945 wirtschaftlich auf diese preußische Stadt ausgerichtet, obwohl sie politisch zum braunschweigischen Walkenried zählten. Die Lage unmittelbar an der entstehenden „Zonengrenze“ machte die Juliushütte von 1945 bis 1950 zu einem absoluten Brennpunkt der Grenzgänger zwischen West und Ost. Pro Jahr über eine Million Menschen ging hier bei Nacht und Nebel durch den sich senkenden eisernen Vorhang. Es wurde geschmuggelt, geraubt, vergewaltigt, geschossen und gemordet.
1955 brannte die dort betriebene Holzmehlfabrik ab – die Feuerwehr des benachbarten Ellrich wollte löschen, durfte aber erst nach endlosen Telefonaten tatsächlich über die Grenze hinweg eingreifen. Da war es zu spät. Die sich danach langsam auflösende Siedlung wurde mit der Fabrikruine beliebtes Ziel der DDR-Propaganda, weswegen man sich 1964 entschloss, die verbliebenen Bewohner umzusiedeln und alles zu beseitigen – auch die bis dahin noch vorhandenen Reste des KZ. Der Umgang mit dem Erbe der NS-Zeit gehört somit ebenfalls zum „Nachlass“ dieser kleinen Siedlung, deren knapp 100 Jahre voller bedrückender, aber natürlich auch glücklicher Momente war.
Michael Reinboth, Heimatforscher aus Walkenried, setzt der kleinen Siedlung mit diesem Heft ein spätes Denkmal und macht deutlich, wohin es führt, wenn fehlende Toleranz und Diktaturen anstelle von Demokratien herrschen.
Verlag: Papierflieger
Sprache: Deutsch
Seiten: 101
Erschienen am: 01.10.2025



















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